Weinwerkstatt mit verschiedenen Utensilien

Die Geschichte des Weins: Wein und die Industrialisierung

Mit dem Aufkeimen der Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts veränderte sich viel. Klassische Berufe, die zahlreichen Menschen bis zu diesem Zeitpunkt Arbeit verschafften, wurden von Jobs in Fabriken verdrängt. Eine wachsende Bevölkerung, technischer Fortschritt und veränderte Bedürfnisse sowie Gewohnheiten prägten auch den Weinbau. Einfach war es damals für die Winzer nicht.

Der Durst einer wachsenden Bevölkerung

Während der Industrialisierung kam es aufgrund veränderter Lebensbedingungen und einer besseren wirtschaftlichen Lage zu einem bemerkenswerten Wachstum der Bevölkerung. Von 1850 bis etwa 1870 steigerte sich aufgrund dessen auch die Nachfrage nach Alkoholika. Bis 1900 schoss der durchschnittliche Pro-Kopf-Konsum auf ganze zwölf Liter pro Jahr. Ein Rekordwert bis zu diesem Zeitpunkt.

Selbst die Reichsbranntwein-Steuerreform, die Bismarck auf den Weg brachte, konnte dem wachsenden Durst kaum Einhalt gebieten. Alkoholische Getränke wie Branntwein wurden deutlich teurer, was zu einem Einbruch der Nachfrage führte. Dies allerdings brachte keine Verringerung des Konsums, sondern lediglich eine Verschiebung mit sich. Die Menschen tranken nun Wein und Bier.

Im Zuge dieser Entwicklung ging es nicht nur den Brauereien, sondern auch den Winzern gut. Vielerorts konnten sie expandieren und größere Flächen bewirtschaften. Aufgrund der großen Nachfrage nach Wein waren sogar kleine Weingüter mit ebenso überschaubaren Rebflächen dazu in der Lage, wirtschaftlich zu profitieren.

Industrialisierung im Weinberg

Mit steigender Nachfrage und technologischem Fortschritt änderte sich während der Industrialisierung auch die Arbeit im Weinberg. Ein entscheidender Einflussfaktor war die Wissenschaft, denn zahlreiche Experten forschten an neuen Rebsorten, Maschinen und Methoden rund um Weinberg sowie Keller.

Die Industrialisierung brachte auch einen Wandel im Schutz vor Schädlingen und Rebkrankheiten mit sich. Winzer experimentierten mit verschiedenen Präparaten und nutzten kurzzeitig sogar giftiges Arsen, um ihre Rebstöcke zu behandeln. Diese jedoch verschwanden glücklicherweise schnell wieder und schufen Platz für weniger schädliche Alternativen. Auch die Kali- sowie Stickstoffdüngung hielt Einzug und ermöglichte teilweise beträchtliche Ertragssteigerungen.

Weinberg wird mit Traktor bewässert

Staatliche Förderungen trieben den Weinbau voran

Um die große Nachfrage nach Wein bedienen zu können, mussten Winzer jedoch nicht nur düngen und Pflanzenschutz betreiben, sondern auch mit neuen Maschinen arbeiten. Der Staat selbst war es, der sowohl Bewässerungssysteme als auch technisches Equipment finanzierte.

Die starke Förderung des Weinbaus in vielen Ländern ließ eine nahezu goldene Ära anbrechen, in der jedoch eine Gefahr bestand: Wein verkam mancherorts zu Massenware und einige Winzer erkannten die Bedrohung früh. Sie versuchten, die Industrialisierung aus dem Weinberg herauszuhalten, waren jedoch wenig erfolgreich. Erst seit wenigen Jahren gelingt es Winzer in aller Welt, die Vorzüge der industriellen mit den wichtigen Aspekten des Naturschutzes und der traditionellen Bewirtschaftung zu vereinen. Es sind besonders die jüngeren Generationen, die dies vorantreiben.

Keine leichte Zeit

Es scheint, als habe der Weinbau von der Industrialisierung nahezu ausschließlich profitiert. Dies zu behaupten, ließe jedoch einen wichtigen Aspekt außer Acht. So gab es während dieser Jahrzehnte einige Entwicklungen, die Winzern große Sorge bereiteten.

Schon die Abwanderung von Arbeitern in die großen Industriefabriken entpuppte sich als Problem. Manche Winzer entschieden sich für das sichere Einkommen, wieder andere mussten auf ihre Saisonarbeiter und helfenden Hände verzichten.

Trauben mit weißem Pelz überzogen
Von Mehltau befallene Trauben

Anfang des 19. Jahrhunderts stürzten Echter sowie Falscher Mehltau und die Reblaus den Weinbau in eine tiefe Krise. Flächen verkleinerten sich, Weingüter schlossen ihre Pforten. Erst nach Erfindung des Pfropfens auf amerikanische Unterlagen verschwand das Hauptproblem dieser Tage. In Forschungsanstalten entdecken Wissenschaftler neue Rebsorten und entwickelten einen nicht unbeträchtlichen Teil jener Sorten, die auch heute noch von Bedeutung sind.

Die Industrialisierung hatte Winzern letztlich einiges zu bieten. Maschinen brachten die Effizienz mit sich, Pflanzenschutz, Dünger und Bewässerung sicherten die Ernten. Mit neuen Rebsorten konnten Winzer auf klimatische Rahmenbedingungen und Böden reagieren.

Es ist ein Glück, dass sich der Weinbau heute dieser zahlreichen Vorteile bedienen und zeitgleich auf seine vorindustriellen Wurzeln besinnen kann. Mit nachhaltiger Bewirtschaftung, Respekt vor der Natur und einem Blick für Ertragsreduktion ist es Winzern heute möglich, großartige Weine zu produzieren und dabei profitabel zu handeln. Der Umweg über eine Zeit des Qualitätsverlustes sorgte letztlich auch für ein neues Bewusstsein und weckte die Lust der Winzer am Setzen neuer Ziele.

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